Montag, 13. August 2018

Schulleiterin legt sich im Unterricht auf Schüler

An der Schule "Am Park" in Behrenhoff (Mecklenburg-Vorpommern) gehört die Festhaltetherapie zum pädagogischen Konzept. Die Schulleiterin selbst beschreibt im Internet, wie sie sich mit ihrem Körpergewicht auf Schüler*innen legt - während des Unterrichts. Post vom Staatsanwalt hat sie anscheinend noch nie bekommen. Dafür aber den Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung.

Die Vorzeigeschule in Behrenhoff


"Über kontinuierliche und konsequente Beziehungs- und Erziehungsarbeit erfahren die Schüler vorbehaltlose Annahme, Toleranz, Akzeptanz und Respekt", heißt es auf der Internetseite der Schule Am Park. Die meisten Kinder, die hier zur Schule gehen, haben bereits Gewalt- oder andere Missbrauchsformen in der Familie erlitten. Viele wurden von Einrichtung zu Einrichtung gereicht. Von der eigenen Familie, staatlichen Schulen, Therapeut*innen und dem Jugendamt als "hoffnungslose Fälle" abgestempelt, sollen sie hier die Möglichkeit bekommen, sich frei zu entwickeln. Akzeptanz und Geduld statt Ritalin, Prügel und Vernachlässigung. "Liebe und Fürsorge, Schutzräume und Freiräume, Geborgenheit und Freiheit", brauchen Kinder nach der vermeintlichen Überzeugung der Lehrkräfte. Im Gästebuch der Schul-Homepage sammeln sich Lobeshymnen und Liebeserklärungen, darunter viele von ehemaligen Schüler*innen, aber auch von Lehramtsstudent*innen, die eine Exkursion nach Behrenhoff gemacht haben.

2010 erhielt die Schule Am Park den Deutschen Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung. In der zur Auszeichung zugehörigen Profilbeschreibung erfahren wir: "Es gibt keinen Frontalunterricht, sondern intensiven Diskurs zwischen Lehrern und Schülern, auch wohl dosierte und sorgfältig abgewogene Berührungen wie ein Händedruck – für einen kurzen Moment; die Grenzen zwischen Schülern und Lehrern gelten auch in Behrenhoff."

Begraben unter der Schulleiterin


Klingt das nicht wundervoll? Wie die Akzeptanz, der Respekt und das Einhalten von Grenzen in der Praxis aussieht, zeigt ein Artikel, den die Schulleiterin Edeltraud Schmid selbst ins Netz gestellt hat, inkusive einer detaillierten Darstellung einer Festhalteszene:

"(...) M. kommt missgestimmt in die Schule. Sie begrüßt uns nicht und zieht ihre Jacke nicht aus. Die Schulmaterialien bleiben in der Tasche. Ich nehme die Tasche und halte sie ihr mit der Aufforderung, die Sachen heraus zu holen, hin.

M: „Klar ab und lass mich in Ruhe!“

Ich: „Wir wollen beginnen und dazu brauchst du deine Sachen. Wir können uns auch unterhalten, warum du so wütend bist.“

M: „ Nö!“ Reißt mir die Tasche aus der Hand und dreht sich von mir weg.
Meine Kollegin kommt langsam näher und beobachtet uns. Alle anderen Kinder verhalten sich leise und sind auf ihren Plätzen.

Ich: Lege meine Hand auf M.` s Schulter . „Lass uns reden, was los ist.“

M: „Klar mich nicht an!“ Schlägt nach mir.

Ich: „Du schlägst mich nicht!“


Gleichzeitig nehme ich M. an den Oberarmen. M. versucht mich zu beißen und mich zu treten. Ihre Fingernägel schneiden in meine Finger. Mit Unterstützung meiner Kollegin überwältigen wir M.. Ich liege auf M. und halte sie an den Armen fest. Außer sich vor Wut beschimpft sie mich mit obszönen Wörtern. Ich gehe nicht darauf ein und halte sie zunächst unter großen Anstrengungen fest. Immer wieder versucht sie zu beißen und mit ihren Fingernägeln zu kratzen. Ihre Augen sind fest zugekniffen. M. weint vor Wut und Verzweiflung. Wir sind beide völlig nassgeschwitzt. 

Ich kann M. gut halten, so dass meine Kollegin den anderen Kindern die Lernaufgaben geben kann. Sie lassen sich von dem was mit M. geschieht nicht beeinflussen und arbeiten weiter. (Sie kennen das, z. T. aus eigener Erfahrung) Nach etwa 35 Minuten werden M,s Beschimpfungen konkreter. 

M. „Du bist genauso ein Schwein wie die Erzieher. Du willst auch nicht, dass ich meine Mutter besuchen darf. Ihr seid Lügner! Erst sagt ihr, dass ich öfter nach Hause fahren darf, wenn ich besser werde und nun darf ich doch nicht.“ Beginnt verzweifelt zu weinen. Der Kopf ist zur Seite gedreht.
     
Ich: „Das tut mir ganz doll leid. Ich weiß, dass du deine Mama ganz lieb hast und dass du öfter bei ihr sein möchtest. Ich kann dir den Vorschlag machen, dass ich mit den Erziehern und dem Jugendamt spreche. Du hattest so lange keine Wutanfälle. Eigentlich hast du schon gut gelernt über deine Probleme zu sprechen. Das würde ich Herrn R. und I. sagen.“ 
 
M: „Ich darf trotzdem nicht nach Hause fahren."

Ich: „Lass mich erst mit den Erziehern und dem Jugendamt reden!“ 

M: „Die hören sowieso nicht auf dich! Die machen doch was sie wollen. Wenn die erfahren, dass ich ausgerastet bin, darf ich sowieso nicht fahren.“

Inzwischen habe ich den Arm losgelassen und streichle mit einer Hand über die Wange. M. weint, lässt das Streicheln mit sich geschehen, schaut aber noch zur Seite. Meine Kollegin beobachtet uns, ohne dass M. etwas davon mitbekommt.

Ich: „Das hier ist unsere Sache. Ich bin stolz auf dich. Du hast niemanden verletzt. Kein Möbelstück ist kaputt und der Notarzt (Wurde öfter vom Heim aus gerufen) musste auch nicht kommen. Wir haben das gut gepackt.“ 

Ein Schüler sagt plötzlich: „Das ist doch gut M.!“ Meine Kollegin beugt sich über uns und streichelt M. und sagt zu ihr: „Das schaffen wir, M.!“ 

M. schaut mich an. Ich nehme sie in den Arm. Sie weint sich aus und ich spreche ihr tröstend zu. (...)"

Laut dem Artikel von Schmid hat sich diese Szene im Jahr 2000 zugetragen. 2011 wurde die Seite zuletzt modifiziert, auf welcher der Text abrufbar ist. Edeltraud Schmid rechtfertigt ihr Vorgehen unmittelbar unter der Fallbeschreibung: "Wenn Worte diese Kinder nicht mehr erreichen, dann setze ich unter Beachtung der Würde durch das Festhalten eine Grenze. Ich verhindere durch Halten und Halt geben, dass diese Kinder gewalttätig werden." Tatsächlich ist im vorliegenden Beispiel M.s "gewalttätiges Verhalten" überhaupt erst durch das unerwünschte Anfassen durch die Schulleiterin ausgelöst worden. Abgesehen davon ist mehr als offensichtlich, dass es hier um etwas völlig anderes geht, als ein Kind unmittelbar davon abzuhalten, sich selbst oder anderen körperliche Gewalt anzutun. Die anderen Kinder lassen sich nicht beindrucken davon, was vor ihren Augen im Klassenzimmer passiert. Derartige Szenen sind nichts ungewöhnliches in der Schule Am Park.

Die Identifikation der Opfer mit den Täter*innen


Schmid berichtet, dass viele Schüler*innen sich im Nachhinein positiv über das erzwungene Festhalten äußern würden: "Gut, dass du mich gehalten hast, sonst wäre ich vielleicht mal ganz schlimm geworden", soll M. beispielsweise mit 15 Jahren gesagt haben.

Also alles gar nicht so schlimm, wie es aussieht? Im Gegenteil! Im Vergleich zu schlagen oder vernachlässigen führt das Festhalten viel eher dazu, dass sich das Opfer mit Tat und Täter*in identifiziert. Nicht nur, dass das Kind so lange festgehalten wird, bis Wille und Widerstand gebrochen sind: Während und nach der Gewaltprocedur wird ihm gut und "liebevoll" zugeredet. Hier schafft die die haltende Person eine Double-Bind-Situation, aus der es für das Kind nur einen einzigen Ausweg gibt: Die vollständige Selbstaufgabe und Identifikation mit dem*der Täter*in. Wie Ute Benz, Georg Feuser und andere Psycholog*innen ausführen, kann dies die Persönlichkeitsstruktur des Kindes nachhaltig schädigen, bis hin zur Entwicklung schizophrener Psychosen (Benz, 2013; Feuser, 1988). Was Jirina Prekop und Edeltraud Schmid als Erfolg des Festhaltens preisen, ist in Wirklichkeit ein "Zusammenbruch der Persönlichkeitsstruktur durch Regression, durch erzwungene Identifikation mit dem Aggressor" (Benz, 2013). Aus Fällen von Geiselnahmen ist ein ähnliches Phänomen unter dem Begriff Stockholm-Syndrom bekannt.

Dass diese Identifikation bei Schüler*innen der Schule Am Park nicht nur kurzfristig, sondern offenbar auch langfristig erwirkt wird, birgt eine weitere Gefahr: Sie lernen und verinnerlichen gezwungermaßen, dass es legitim wäre, andere Menschen mit solch übergriffigen Methoden gefügig zu machen. Liebe, Respekt und Akzeptanz lernen und erfahren sie nur in einer völlig entstellten Variante, die auf Gewalt, Macht und Unterwerfung basiert.


Links:
Internetauftritt der Schule "Am Park" Behrenhoff: www.schule-behrenhoff.de
Artikel von Schulleiterin Edeltraud Schmid inklusive Festhalteszenen: www.adhs-schweiz.ch/ADHS_schule.htm 
Deutscher Schulpreis der Robert-Bosch-Stiftung: schulpreis.bosch-stiftung.de/content/language1/html/53246.asp